Obwohl wilde Schimpansen seit mehr als 64 Jahren erforscht werden, birgt ihre Sprache immer noch grosse Rätsel. Dies liegt nicht etwa daran, dass man Schimpansen nicht hört – ganz im Gegenteil: Sie können mit ihren Stimmen die Böden ihrer Wälder zum Zittern bringen! Trotzdem sind wir immer noch weit davon entfernt zu verstehen, was Schimpansen sich sagen.
von Rahel Noser
Jane Goodall hatte schon früh 32 verschiedene Laute und ihre Kontexte beschrieben, die sie bei den Gombe-Schimpansen beobachtet hatte. Sie vermutete, dass Schimpansen mit ihren Lauten ganz einfache Ich-Botschaften transportieren: Ich freue mich über das Futter, das ich gerade gefunden habe. Ich bin wütend und zu allem bereit, also passt lieber auf. Hallo, ich bin hier.
Die Forschenden wundern sich seit Jahrzehnten, wie es möglich ist, dass unsere nächsten Verwandten im Tierreich ein so einfaches Sprachsystem haben sollen, obwohl sie äusserst komplexe soziale Beziehungen untereinander haben. Wie ist es möglich, dass wir Menschen hingegen als nächste Verwandte der Schimpansen mit unserer Sprache ein so hoch entwickeltes Sprachsystem haben? Was erklärt diesen Unterschied? Und: Ist es vielleicht möglich, dass wir die Sprache der Schimpansen unterschätzen?
Tatsache ist nämlich, dass wilde Schimpansen ihre Laute oft in unterschiedlichen Variationen verwenden und flexibel mit mehreren anderen Lauten aus anderen Kontexten kombinieren. Die meisten Laute kommen darum in sehr vielen Situationen vor.
Wenn sie zum Beispiel leckere Feigen entdecken, stossen sie sie freudige Grunzer aus – wahrscheinlich um andere zu informieren, wo es gutes Futter gibt. Doch diese Grunzer sind nicht nur höchst variabel. Oft gehen sie auch mit zusätzlichen Lauten einher, zum Beispiel mit Schreien, die sonst auch in aggressiven Kontexten beobachtet werden, oder mit Bellen, das oft im Kontext von Angst beobachtet wird.
Der typische «Pant-Hoot» eines Schimpansen kann nur aus zwei Lauten bestehen, dem einfachen Huh am Anfang, gefolgt vom kontinuierlichen Zweiton-Huh, der sich erst hochschaukelt und dann verstummt. Oft aber geht der «Pant-Hoot» anschliessend über in eine Trommelsequenz mit Händen und Füssen auf die Stützwurzeln eines Baums, gefolgt von einer kürzeren oder längeren Serie von wilden Schreien und einem Röhren zum Abgang. Es kommen zahlreiche Varianten und Kombinationen kommen vor. Warum betreiben Schimpansen einen solchen Aufwand, warum ist ihr «Pant-Hoot» so variantenreich, wenn sie einfach nur sagen: Ich bin hier? Stecken vielleicht weitere wichtige Botschaften in ihren Rufen, die wir bisher übersehen?
Ist es möglich, dass Schimpansen ihre Rufe flexibel mit zahlreichen Informationen anreichern und sie gezielt an eine bestimmte Hörerschaft richten, um damit ein bestimmtes Ziel zu erreichen?
Es dürfte noch eine Weile dauern, bis wir die Schimpansensprache besser verstehen. Die Forschungsbedingungen in den dichten Wäldern im tropischen Afrika sind allerdings erdenklich schlecht: An vielen Orten sieht man im Blättermeer nur ein paar Meter weit. Wenn sie Glück haben, sehen die Forschenden zwar den Schimpansen, der die Laute ausstösst, kaum je aber den- oder diejenige, an welche die Botschaft gerichtet ist – und die Reaktion darauf. Oder umgekehrt.
Um die Sprache unserer nächsten Verwandten im Tierreich besser zu verstehen, braucht es noch jahrelange intensive Forschung. Wenn es uns nicht gelingt, sie besser zu schützen, werden wilde Schimpansen verstummen, bevor wir ihr reiches, komplexes Dasein – und damit unser eigenes – hinreichend erfasst und gebührend wertgeschätzt haben.