Selbstkontrolle bei Schimpansen-Teenagern

Selbstkontrolle bei Schimpansen-Teenagern
27/01/2023 Rahel Noser

Die Pubertät ist im Leben von uns Menschen eine wahrlich spektakuläre Zeit: Wir entwickeln uns rasant, die Hormone tanzen, und wir neigen zu Risikofreude und impulsivem Verhalten. Beides legt sich mit dem Älterwerden dann von selbst wieder.

40 Tchimpounga-Schimpansen, die derzeit in der Pubertät stecken oder diese seit kurzem überwunden haben, nahmen an einer eben erschienenen Studie über die Risikofreude und Selbstkontrolle während der Pubertät unserer nächsten Verwandten im Tierreich teil. Und zeigen, dass Schimpansen-Teenager ihre Impulse gleich gut kontrollieren können wie Erwachsene – dies ganz im Unterschied zu Menschen.

Schimpansen sind im Alter von rund 8 – 15 Jahren in der Pubertät. Auch sie haben in dieser Zeit Hormonschübe und neigen zu risikofreudigerem Verhalten als ihre etwas älteren Artgenossen. Doch im Unterschied zu uns Menschen ist ihre Impulsivität in der Pubertät nicht erhöht.  

Imponierverhalten von Teenager Jeje, der seinen Platz in der männlichen Hierarchie sucht.
© JGI / Fernando Turmo

Impulsivität wird bei Menschenkindern unter anderem mit dem sogenannten Marshmallow-Test gemessen: Ein Kind wird in einen Raum geführt, in dem auf einem Tisch ein Teller mit einem Marshmallow steht. Die Person, die das Experiment leitet, teilt ihm mit, dass es das Marshmallow gerne sofort essen könne. Es werde aber drei Marshmallows bekommen, wenn es das Marshmallow auf dem Tisch nicht anrühre, bis die Leiterin oder der Leiter des Experiments zurück sei. Die Person verlässt dann den Raum, das Kind bleibt allein zurück und wird gefilmt. Wie lange kann es seinen Impuls, das köstliche Marshmallow sofort zu verschlingen, unter Kontrolle halten?

Dieser Test wird in etwas angepasster Form auch bei Tieren angewendet. Die Schimpansen- Teens und -Erwachsenen von Tchimpounga lernten in acht Durchgängen folgendes: Hinter einem Drahtgitter lagen gleichzeitig zwei Futterangebote, ein Bananenstück auf der einen Seite, drei Bananenstücke auf der anderen. Zeigten sie auf das einzelne Stück Banane, bekamen sie es sofort. Zeigten sie auf die drei Stücke, mussten sie eine Minute lang warten, bevor sie sie bekamen.

Teenager Anzac auf der Insel Ngombe. © JGI / Fernando Turmo

Nach dieser Lernphase wurde jeder Schimpanse 14 Mal getestet. Welche Option bevorzugte er oder sie? Dies zeigte: Die Teens entschieden sich in rund 65% der Tests für die grössere, aber zeitlich verzögerte Belohnung – gleich oft wie die Erwachsenen. Die Teenager schienen jedoch die Spannung während des Wartens weniger gut auszuhalten: Sie schrien, kratzten sich nervös oder schlugen häufiger ungeduldig gegen das Gitter der Testanlage als ihre älteren Artgenossen, während sie warteten. Um sich beim nächsten Mal dann doch wieder für die Option mit Wartezeit zu entscheiden.

Welche Bedeutung dieser Unterschied der Selbstkontrolle von menschlichen und schimpansischen Teenagern hat, muss noch besser verstanden werden. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle wird im Tierreich mit Intelligenz assoziiert. Nicht nur Schimpansen, sondern auch Kapuzineraffen, Hunde, Papageien, Tintenfische und Krähen können auf eine sofortige Belohnung verzichten, um später eine grössere zu bekommen.

Teenager Falero lebt in einem grossen Gehege in den Hauptgebäuden der Schutzstation Tchimpounga. © JGI / Fernando Turmo

Die Schutzstationen in Afrika kümmern sich professionell und liebevoll um die Schimpansen, die als Kinder Opfer der Wilderei wurden und dies überlebten. Sie sind zentral für die Durchsetzung der Wildtiergesetze in ihren Ländern. Sie sind wichtige Orte des Lernens für die Menschen vor Ort. Und sie stellen ihre Infrastruktur immer wieder Forschenden aus aller Welt zur Verfügung. Für letztere bietet die grossen Zahl Schimpansen, die hier leben, eine ideale Voraussetzung für nicht-invasive Verhaltensexperimente.

Für die Schutzstationen zahlt sich diese Art der Zusammenarbeit gleich doppelt aus: Erstens sind die Experimente eine gute Beschäftigungsmöglichkeit für die Schimpansen: Hier ist oft Köpfchen gefragt, und viele Schimpansen nehmen diese Herausforderung gerne freiwillig an. Zweitens generieren diese Partnerschaften Einkommen für die Schutzstationen, welches mithilft, die langfristige Betreuung der Schimpansen sicherzustellen.  

So leisten die Schimpansen, die als Kinder Opfer der Wilderei und aus ihren Wäldern gestohlen wurden, auch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis ihrer Art. Und verweisen uns immer wieder auf unseren eigenen Platz im Tierreich.

Der junge Mambou lebt auf der Insel Tchinzoulou. © JGI / Fernando Turmo