Zum Weltschimpansentag: 63 Jahre Schimpansen-Feldforschung

Zum Weltschimpansentag: 63 Jahre Schimpansen-Feldforschung
08/07/2023 Rahel Noser

Am Weltschimpansentag feiern wir die Schimpansen!  Der 14. Juli ist der Tag, an dem Jane Goodall vor 63 Jahren zum ersten Mal den Wald im heutigen Gombe Stream Nationalpark in Tansania betrat, um wilde Schimpansen zu studieren. Sie hatte Geld für sechs Monate, nach denen bereits alles hätte vorbei sein können. Das Gegenteil traf ein: Es war der Beginn einer jahrzehntelangen Reise, die Jane Goodall und nach ihr zahlreiche weitere Forschende in die tropischen Wälder und Savannen Afrikas führte, um Langzeitstudien zu etablieren. Bis heute liefern sie atemberaubende Erkenntnisse über diese faszinierenden Tiere. Hier stellen wir einige wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre vor. 

Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer um die Welt: Wilde Schimpansen benutzen Werkzeuge, genau wie Menschen! So geschehen im Jahr 1960, als Jane Goodall erstmals über den Schimpansen David Greybeard berichtete. David hatte einen Zweig von einem Baum abgebrochen, ihn von seinen Blättern befreit und in den Eingang eines Termitenbaus gesteckt. Sofort hatten die Termitensoldaten zur Verteidigung ihres Baus das eingedrungene Objekt angegriffen und sich daran festgebissen. Es war ein Leichtes für David gewesen, den Stock, an dem die mutigen Termiten hingen, herauszuziehen und sie mit Genuss zu verspeisen.

Spielende Schimpansen im Gombe Stream Nationalpark, Tansania. © Bill Wallauer

Obwohl wir heute wissen, dass viele Tiere Werkzeuge herstellen und benützen – dazu gehören einige Säugetier-, Vogel-, Weichtier- und Reptilienarten – wurde der Werkzeuggebraucht damals als definierendes Merkmal des Menschen angesehen, ein Verhalten also, das den Menschen unwiderruflich vom Rest des Tierreichs abhob. 

Damals ahnte die Welt noch nicht, dass dies nicht die einzige Entdeckung bleiben würde, welche die Welt erstaunte! Weil Jane Goodall keine formale Ausbildung in Verhaltenswissenschaften besass, verliess sie sich bei der Interpretation ihrer Beobachtungen einfach auf ihre Intuition. Sie sah, dass die Schimpansen von Gombe Persönlichkeiten, Gefühle und Absichten hatten. Dies wurde von der damals noch sehr männlich dominierten Wissenschaft nicht gewürdigt: Sie war der Meinung, dass solche Dinge entweder gar nicht existierten oder wissenschaftlich unmöglich zu erforschen seien und daher ausserhalb des akademischen Interesses lägen. 

Es dauerte Jahrzehnte, bis sich die wissenschaftlichen Beweise dafür häuften. Bis heute haben wir gelernt, dass Schimpansen tatsächlich Persönlichkeiten, Gefühle und Absichten haben – Jane Goodall hatte Recht! Und wir haben noch viel mehr dazugelernt: Dass Schimpansen ein emotionales Bedürfnis haben, sich nach Streitigkeiten zu versöhnen 1,2. Dass sie ihre Verbündeten taktisch auswählen 3, dass sie äusserst aggressiv sein können und Kriege führen 4,5. Wir haben gelernt, dass Schimpansen wissen, was andere wissen und beabsichtigen 6, und daher kooperativ jagen7 und gemeinsam Probleme lösen können 8, dass sie sich trösten 1, täuschen 9 und einander Dinge beibringen 10, 11. Wir haben gelernt, dass sie für die nahe Zukunft planen 11. Wir haben gelernt, dass einige Schimpansen neue Dinge erfinden 12, während andere durch Zuschauen von ihnen lernen 13.

Ferdinand, langjähriger Alpha-Mann der Kasekela-Gruppe in Gombe. © Bill Wallauer.

Zum Beispiel das Knacken von hartschaligen Nüssen mit einem Stein- oder Holzhammer und einem Amboss. Dieses Verhalten muss vor langer Zeit von einem Schimpansen im Tai-Wald in Elfenbeinküste erfunden und dann an andere Schimpansen weitergegeben worden sein. Heute knacken mindestens drei Tai-Gruppen Nüsse 14, während dieses Verhalten an anderen Orten völlig fehlt, obwohl Nüsse, Hammer und Ambosse vorhanden wären 15, 16.

Die Gruppen im Tai-Wald unterscheiden sich in der Art und Weise, wie sie die Nüsse knacken 17. Zu Beginn der Saison, wenn die Nüsse noch weiche Schalen haben, verwenden zwei Gruppen Holzhämmer. Die Tiere wechseln im Laufe der Saison, wenn die Schalen härter werden, zu Steinhämmern. Die Schimpansen einer Gruppe verwenden jedoch das ganze Jahr über Steinhämmer – obwohl Steinhämmer in den Revieren aller drei Gruppen gleich selten sind. Und mehr noch: Die Weibchen, die in der Pubertät ihre Geburtsgruppe verlassen, um sich in einer anderen Gruppe fortzupflanzen, passen ihr Verhalten an ihre neue Gruppe an. Wenn sie in ihrer Geburtsgruppe beispielsweise nur Steinhämmer verwendeten, werden sie in der neuen Gruppe Holz- und Steinhämmer benutzen.

Heute werden immer mehr Schimpansengruppen in freier Wildbahn erforscht. Wir sind heute dabei, einen ersten Eindruck von ihrer reichen kulturellen Vielfalt zu bekommen. Das bringt uns zurück zum Termitenfischen: Als Jane Goodall vor 63 Jahren David Greybeard zum ersten Mal beim Termitenfischen in Gombe zuschaute, ahnte sie nicht, dass Termiten für viele – aber nicht alle – wilde Schimpansengruppen in Afrika eine wichtige Proteinquelle darstellen. 

Unterdessen haben wir jedoch gelernt, dass verschiedene Schimpansengruppen unterschiedliche Techniken zum Termitenfischen einsetzen 18. Einige dieser Unterschiede sind fest in der Ökologie verwurzelt, während andere kulturbedingt sind. So leben einige Termiten in überirdischen Bauten, während andere unter dem Boden leben. Während die Soldaten von überirdischen Termitenvölkern mit einem einzigen Stock zum Anbeissen gebracht werden können, braucht es anderswo fürs Fischen von unterirdisch lebenden Termiten zwei Stöcke, die nacheinander eingesetzt werden müssen. Dieser Unterschied im Verhalten wird von einem ökologischen Umstand vorgegeben.

Termitenfischen im Gombe Stream Nationalpark.

Doch zum Fischen von unterirdischen Termiten verwenden Schimpansen verschiedene Techniken, die gruppenspezifisch sind. Zum Beispiel fischen die Goualougo-Schimpansen in der Republik Kongo im Sitzen. Die Wonga Wongue-Schimpansen, die in Gabon leben, hingegen liegen dabei bequem auf der Seite. Die Korup-Schimpansen in Kamerun wiederum liegen auf der Seite und stützen sich auf einen Ellbogen auf. Es ist schwer vorstellbar, dass solche Unterschiede in der Körperhaltung beim Termitenfischen, die sich in den Gruppen häufen, von ökologischen Unterschieden abhängen. Höchst wahrscheinlich sind sie Ausdruck dafür, dass ab und zu einer unsere engsten Verwandten im Tierreich ein neues, bequemeres oder effizienteres Verhalten erfindet, und andere ihm dieses abschauen. So entstehen spezifische kulturelle Verhaltensweisen, welche die Schimpansen innerhalb ihrer Gruppe von einer Generation zur nächsten weitergeben – so wie auch wir Menschen dies tun.

Die wilden Schimpansen in den Wäldern und Savannen Afrikas werden in Zukunft ihre einzigartigen Kulturen weiterentwickeln und verfeinern – wenn wir ihre Wälder schützen und ihnen eine Chance dazu geben.

Gremlin und Grendel in Gombe. © Bill Wallauer

Referenzen

  1. De Waal, FBM, A van Roosmalen. “Reconciliation and consolation among chimpanzees.” Behav Ecol Sociobiol  5 (1979): 55-66. 
  2. Wittig, RM, CBoesch. “The choice of post-conflict interactions in wild chimpanzees (Pan troglodytes).” Behaviour (2003): 1527-1559. 
  3. Nishida, T, et al. “Meat-sharing as a coalition strategy by an alpha male chimpanzee”. Topics Primatol (992): 159-174. 
  4. Goodall J. 1986. “The Chimpanzees of Gombe: Patterns of Behavior”. Cambridge, MA: Belknap Pres 
  5. Wilson, ML, RW. Wrangham. “Intergroup relations in chimpanzees.” Ann Rev Anthropol 32 (2003): 363-392. 
  6. Premack, D, G. Woodruff. “Does the chimpanzee have a theory of mind?” Behav Brain Sci 1.4 (1978): 515-526. 
  7. Boesch, C. Cooperative hunting in wild chimpanzees. Anim Behav 48.3 (1994): 653-667. 
  8. Menzel, E. W. “Spontaneous invention of ladders in a group of young chimpanzees.” Folia primatol 17.1-2 (1972): 87-106. 
  9. Whiten, A, and RW Byrne. “Tactical deception in primates.” Behav Brain Sci 11.2 (1988): 233-244. 
  10. Boesch, C. “Teaching among wild chimpanzees.” Anim  Behav (1991). 
  11. Musgrave S. et al. “Teaching varies with task complexity in wild chimpanzees”. PNAS 117 (2019):2. 
  12. Osvath, M. “Spontaneous planning for future stone throwing by a male chimpanzee.” Curr Biol 19.5 (2009): R190-R191. 
  13. Boesch, C. “Innovation in wild chimpanzees (Pan troglodytes).” Int J Primatol 16.1 (1995): 1-16. 
  14. Galef, BG “Tradition in animals: field observations and laboratory analyses.” Interpretation and explanation in the study of animal behavior 1 (1990): 74-95. 
  15. Boesch, CH. Boesch. “Mental map in wild chimpanzees: an analysis of hammer transports for nut cracking.” Primates 25 (1984): 160-170. 
  16. McGrew, WC. et al. “Why don’t chimpanzees in Gabon crack nuts?.” Int J Primatol 18 (1997): 353-374. 
  17. Koops K et al.  Field experiments find no evidence that chimpanzee nut cracking can be independently innovated. Nature Hum Behav (2022): 487-494. 
  18. Luncz, LV, R.Mundry, C. Boesch. “Evidence for cultural differences between neighboring chimpanzee communities.” Curr Biol 22.10 (2012): 922-926. 
  19. Boesch C, et al. Chimpanzee ethnography reveals unexpected cultural diversity. Nature Hum Behav 4.9 (2020): 910-916.